Kirche und Homosexualität - Respekt und Verurteilung

Pfarrblatt Luzern 1.10.2010 Lukas Niederberger

Das Thema Homosexualität sorgt in der Katholischen Kirche wiederholt für Kontroversen. Und auch andere Kirchen und Religionen bewegen sich bei diesem Thema zwischen dogmatischen Lehren und statistischen Fakten, diffusen Ängsten und vehementer Ablehnung. Eine Entspannung scheint nicht in Sicht. Dennoch muss sich bald etwas ändern, wenn die Kirche nicht eine wichtige Gruppe von Gläubigen verlieren will.

In den Sommermonaten sorgten drei Konflikte im Bereich Homosexualität und Kirche für Schlagzeilen: In der Schweiz verbot der Churer Bischof Huonder die Teilnahme der Katholischen Kirche am ökumenischen Gottesdienst des Homo-Festivals „Zürich Pride“. Der Vatikan schloss den renommierten Theologen David Berger aus ihrer Akademie aus, nachdem sich dieser zu seiner Homosexualität bekannte. Und in Kalifornien wehrt sich die katholische Kirche vehement gegen die Homo-Ehen.

«Natürlich» und «normal»

Die Katholische Kirche verurteilt Homosexualität mit dem Argument des Naturrechts. Dieses besage klar, dass Gott die Natur so geschaffen habe, dass Mann und Frau zusammen kommen und dass der Sinn und Zweck der Sexualität in der Fortpflanzung bestehe. Aus diesem Grund lehnt die katholische Kirche die Sexualität und auch die staatliche Anerkennung homosexueller Paare kategorisch ab. Skeptiker der Naturrechtslehre betonten bereits vor 200 Jahren, dass die Natur nicht zur Norm tauge, weil aus einem «ist» kein «sollte» abgeleitet werden könne. Die Frage ist auch heute noch erlaubt, ob man aus der Natur bzw. aus dem, was wir für «natürlich» halten und bestimmen, ableiten könne und dürfe, dass das Gewohnte immer so bleiben müsse und dass das sogenannt Natürliche automatisch moralisch höher stehe als das «Unnatürliche». Wäre dem so, dürften sich Männer morgens nicht mehr rasieren und wir würden noch immer an Gallensteinen und geplatzten Blinddärmen sterben.

Ist die Bibel homophob?

Protestantische und evangelikale Kreise führen vor allem biblische Zitate ins Feld, um Homosexualität verurteilen und ablehnen zu können. Moderne Bibelforscher vertreten jedoch seit Jahren die Meinung, dass in der ganzen Bibel nirgends ausdrücklich von Menschen die Rede sei, die eine homosexuelle Grundorientierung hätten, sondern (z.B. im Römerbrief 1,26-27) ausschliesslich von Heterosexuellen, die homosexuelle Handlungen vornehmen und dadurch ihre eigentliche Veranlagung verraten und pervertieren würden. Evangelikale Christen erkennen in vielen Bibelstellen eine klar ablehnende Haltung gegenüber Homosexualität (z.B. 1. Korintherbrief 6,9-10; 1. Timotheusbrief 1,9-10; Levitikus 18,22 und 20,13). Und sie warnen davor, die liebenden Beziehungen zwischen alttestamentlichen Figuren wie Ruth und Naomi oder David und Jonathan als homosexuelle Liebe zu interpretieren.

Oasen der Solidarität

An der Kirchenbasis gibt es mehrere Orte, wo Homosexuelle ihr Christsein unter Gleichgesinnten leben und feiern können, ohne ihre sexuelle Neigung verstecken zu müssen. Seit 20 Jahren existieren beispielsweise ökumenische Gottesdienste für Lesben und Schwule in der Basler «Offenen Kirche Elisabethen» (Info: www.lsbk.ch). Zu Beginn waren die Gottesdienste sehr wichtig für Frauen und Männer, die ihr Coming-out nicht wagten. Mit der heutigen Enttabuisierung der Homosexualität durch prominente Schwule und Lesben in Politik und Kultur ging die Notwendigkeit spezieller Gottesdienste zurück. Dafür nimmt das Bedürfnis nach kirchlichen Paarsegnungen bei homosexuellen Paaren stark zu.

Dilemma für Priester und Ordensleute

Besonders unter Druck stehen homosexuelle Ordensleute und Priester. Der Anteil Homosexueller ist in diesen Berufen überdurchschnittlich. Vermutlich deshalb, weil viele meinen, durch den auferlegten Zölibat der Problematik ihrer sexuellen Orientierung aus dem Weg gehen zu können. Im vertraulichen seelsorglichen Gespräch werden schwule Priester und Ordensleute zuvorkommend behandelt. Aber sobald sie ihre Neigung öffentlich machen, werden sie bekämpft. Das Strategiepapier der Deutschen Bischofskonferenz zum Umgang mit schwulen Priestern und Priesterkandidaten war ursprünglich als Geheimpapier gedacht. Im Jahr 1999 wurde es aber öffentlich bekannt. Darin steht, dass ein homosexueller Priesterkandidat zwar zur Weihe zugelassen werden könne, weil er seine Sexualität ja ohnehin nicht ausleben dürfe. Gleichzeitig dürfe aber ein Priester oder Ordensmann sich auf keinen Fall öffentlich zu seinem Schwulsein bekennen.

Schweigen, schweigen!

Im November 2005 erliess der Vatikan noch strengere Richtlinien zum Umgang mit homosexuell veranlagten Priesteramtskandidaten. Diese sollten fortan nicht mehr zur Priesterweihe zugelassen werden, sondern bräuchten ein «moralisch einwandfreies Urteil» durch die Ausbildungsleiter. Diese Regelung sorgte bei den rund 20% homosexuellen Priestern und Ordensleuten für eine herbe Enttäuschung und Einschüchterung. Öffentlich zu protestierten wagte nur der deutsche Jesuit und Psychotherapeut Hermann Kügler, der in der Zeitschrift SPIEGEL die Katholische Kirche als die «grösste transnationale Schwulenorganisation» bezeichnete und vor der Gefahr warnte, dass mit dieser Gesinnungsschnüffelei die Gefahr des Verschweigens der homosexuellen Neigung bei Priesterkandidaten noch mehr steigen würde.

Wie lange und schwierig der Prozess des Coming-out für einen schwulen Priester sein kann, beschrieb der bekannte Autor Pierre Stutz im «Psalm eines homosexuellen Menschen»:

Viele Jahre brauchte ich

um meine Homosexualität

anzunehmen

zu lange war ich ausser mir

liess mich beeindrucken

von lebensverneinenden

Glaubensaussagen

Viele Jahre war meine Seele tief

zerstört

weil ich nicht auf meine

Herzensstimme horchte

zu lange war ich auf der Flucht vor

mir selber

liess mich beirren von der Zusage

eine Fehlform der Schöpfung zu sein

Wie konnte ich Deine Lebensworte überhören

die mich zum aufrechten Gang

ermutigten:

«Ich danke dir, dass du mich so

wunderbar gestaltet hast.

Ich weiss: Staunenswert sind

deine Werke»

Du hast alle schwulen und lesbischen Menschen

so wunderbar gestaltet und geschaffen

Du bestärkst sie zur Selbstannahme

Du bewegst sie zu zärtlicher

Freundschaft

Du segnest sie kraftvoll jeden Tag neu.

Gescheiterte Gespräche

Gerade weil schwule Seelsorger besonderen Spannungen ausgesetzt sind, haben sie in der Schweiz im Jahre 1995 ADAMIM, den «Verein schwuler Seelsorger» gegründet. Zu dieser Gruppe von etwa fünfzig schwulen Männern im kirchlichen Dienst gehören Pfarrer, Pastoralassistenten, Priester, Katecheten, Theologen, Spitalseelsorger und Ordensmänner aus verschiedenen Konfessionen. Sieben Jahre langführte der Verein regelmässige Gespräche mit den Bischöfen. Weil diese aber keines der Anliegen von ADAMIM ernsthaft aufgriffen, verlief der Dialog im Sand.

 

Kirche bleibt Antwort schuldig

Die katholische Kirche lehrt, dass niemand wegen seiner sexuellen Orientierung diskriminiert werden dürfe. Gleichzeitig verurteilt die Kirche homosexuelle Handlungen als ungeordnet und sündhaft. Die Unterscheidung zwischen Veranlagung und Handlung ist vielen Menschen zu abstrakt und wird der Lebenserfahrung der Betroffenen nicht gerecht. Die Kirche ist und bleibt homosexuell veranlagten Menschen eine Antwort schuldig auf die Frage, wie diese mit ihrer Veranlagung konkret umgehen sollten. Ansonsten verliert die Kirche nach den Arbeitern und den Intellektuellen bald auch noch die letzten Homosexuellen aus ihren Reihen.

(Quelle: www.pfarreiblatt.ch)