Eyes wide open - Jetzt im Kino

Schwule Liebe im streng orthodoxen jüdischen Stadtviertel Mea Shearim in Jerusalem

(11.4.2010 Christian Leugenegger)

Im wahrsten Sinne des Wortes ist die Eröffnungsszene eine Schlüsselszene. Das Schloss der Metzgerei von Aaron Fleischmann, lässt sich nicht öffnen, ist eingerostet, nachdem der Fleischerladen mit dem Tod von Aarons Vater vorübergehend geschlossen war. Aaron kann die Tür nur mit Gewalt öffnen. Ketten müssen gesprengt werden, und es bricht tatsächlich was Neues auf, im Leben von Aaron, Verkrustetes beginnt sich zu lösen, neue Energien beginnen zu fliessen. Der Aufbruch der Tür ist der erste Schritt zu einem Aufbruch im Leben, auch wenn noch unklar ist,  was alles ans Licht kommt.
Dann das Fleisch. Aaron heisst mit Namen Fleischmann. Und als erstes muss er in der Metzgerei seines Vaters aufräumen, altes (stinkendes) Fleisch entsorgen... und da taucht schon ein erstes Mal Ezir auf, die fleischliche Sünde. Aber schon bei dieser ersten Begegnung wird deutlich, dass diese mehr ist wie eine flüchtige Begebenheit... die Liebe nimmt ihren Lauf.
Eine gute Metapher auch die Gerümpelkammer im Obergeschoss der Metzgerei, das Hinterzimmer. Chaos, Unordnung und gerade deshalb Oase und Lebensort im äusserst streng geregelten Alltag im Quartier Mea Shearim. Und Bild für das Seelenleben der beiden Protagonisten... da kommt einiges ins Durcheinander und ins Chaos. Aber umgekehrt ist es gerade an diesem verborgenen, nicht geordneten und reglementierten Ort, wo neue Lebensenergien zu fliessen beginnen.

Der Sozialdruck ist durch den ganzen Film in einer sehr beklemmenden Art spürbar. Immer wieder Menschen, die etwas von der heimlichen Liebschaft mitbekommen, es scheint keinen freien ungestörten Ort zu geben, ausser eben diesem Hinterzimmer. Und vielleicht noch die Quelle ausserhalb der Stadt, ein kurzer Ausbruch aus dem Gefängnis. Überall Sozialkontrolle, Big brother ständig im Nacken. Und immer die Angst, entdeckt zu werden.
Es kommt schliesslich zur Zuspitzung, wie fanatische Talmudschüler im Laden von Aaron aufkreuzen und ihm die Hölle heissmachen. Der zuerst besonnene Rabbi Weizmann kann die jungen Eiferer in die Schranken weisen. Wie darauf Aaron dem Rabbi bekennt, dass Ezri ihm das Leben zurückgebracht hat, kann dieser nur hilflos reagieren und ohrfeigt Aaron im  Affekt. Was Aaron ihm offenbart, kann und darf es im Weltbild des Rabbis nicht geben!

Eine eindrückliche Szene dann die Prügelei in einer Gasse von Mea Shearim. Da kniet Aaron vor den Augen der Umstehenden zu Ezri nieder und nimmt ihn in die Arme. Wasser spritzt aus einer geborstenen Wasserleitung. Zwei Männer, zwei begossene Pudel!

Was es nicht geben darf, gibt es auch nicht. Die Normen sind sehr eng, die Zwänge sind enorm. (Als Parallele wird auch eine Liebe zwischen einem Liebespärchen gezeigt, die auch nicht sein darf: Die junge Sarah wird schliesslich zu einer nicht gewollten Heirat genötigt.). Es gibt praktisch keine Auswege. Ezri verlässt schliesslich Aaron. Aaron gelobt seiner Frau, die Sünde wieder abzulegen und ins geordnete Leben zurückzukehren. Und er geht nochmals zur (Lebens-) Quelle, wo er am Anfang der Geschichte mit Ezri war. Zum rituellen (reinigenden?) Bad. Und taucht schliesslich nicht mehr auf: Was nicht sein darf gibt es auch nicht, oder dann wird es ersäuft!

 

Dazu im Zürcher Lehrhaus ein 2-teiliger Kurs